Fahrt in den Libanon zur Übergabe von Spenden an Schulkinder

Wilhelm Berger berichtet von seiner 36-stündige Reise zu den Flüchtlingslagern im Bekaa-Tal

Ich möchte hier zusammengefasst meine Eindrücke meiner 36-stündigen Reise in den Libanon, genauer gesagt zu den Flüchtlingslagern im Bekaa-Tal, wiedergeben. Ein guter Freund und ehemaliger Kollege - selbst Syrer und in herausragender Weise an der Hilfe für Flüchtlingskinder beteiligt - hat diese sehr kurzfristig angesetzte Reise ermöglicht.

Ziele und Erwartungen

Die Ziele und Erwartungen unsererseits / meinerseits waren:

Die Fahrt

Ankunft am Sonntagabend, den 11. Januar nach ca. vierstündigem Flug. Anschließender Besuch von syrischen Freunden in Beirut, die selbst alles verloren hatten und sich eine neue Existenz aufbauen. Entspannung im Hotel, Planung des nächsten Tages, der voll werden sollte, kurzer Spaziergang am Hafen und Innenstadt. Beirut wirkt sicher. Trotzdem sind Checkpoints und Sicherheitskräfte deutlich präsent. Es herrscht doch eine gewisse gespannte Aufmerksamkeit. Auch die Narben des Bürgerkriegs sind immer noch sichtbar, wenngleich vieles neu erstanden ist.
Aufbruch am 12. Januar um 9 Uhr. Aufgrund der Wetterverhältnisse (50-60 cm Neuschnee im Libanon, 30-40 cm in der Bekaa-Ebene in ca. 1.100-1.200 Metern Höhe) mit geländegängigem Fahrzeug . Strahlender Tag, 12 Grad in der Innenstadt, orientalischer Verkehr und orientalische Fahrweise von Mahmud, unserem Fahrer. Eingepackt sind unsere drei großen Koffer, zwei Taschen und ein Rucksack mit den gespendeten Wintermützen, Schals und Handschuhen. Dazu viele andere Gebrauchsgüter für die Kinder. Wir holen in der Innenstadt Nasrim ab, Mitinitiatorin dieses Schulprojekts "Alphabet" in den Flüchtlingscamps. Dann geht es hoch. Die Außenbezirke Beiruts liegen bereits auf 700 Metern ,der Anstieg ist enorm. Lief anfangs noch das Tauwasser in Strömen die Straße hinunter, ist es hier oben schon dicht verschneit. Schneeberge links und rechts, Lastwagen quälen sich mit bereits angelegten Schneeketten die Berge hoch. Vor zwei Tagen war alles noch unpassierbar - wir befinden uns auf der Hauptachse Beirut - Damaskus. Vor uns uns links seitlich türmt sich der schneebedeckte Libanon, unter uns im Sonnenglanz die Stadt am Meer, dazwischen Palmen, Zedern, Pinien. Wir selbst im chaotischen Verkehr.
Nach gut einer Stunde haben wir die Passhöhe (1.750 Meter) erreicht. Der Checkpoint - schwer bewacht – lässt erstmals den Ernst der Lage erahnen. Herrlicher Blick vom Libanon auf die Wolkendecke des Bekaa und den in der Ferne aufschimmernden Antilibanon. Schnee türmt sich links und rechts - zähflüssiges Vorankommen. Nach einer weiteren Stunde ist das erste Camp auf schneebedeckten, häufig mit Tauwasser gefüllten Schlaglöchern erreicht. Dazwischen verlassene Gehöfte, kleine Städte, orientalisch buntes Straßenbild und: überall Flüchtlinge. Meist Ältere und Kinder, Kleidung gerade noch ausreichend bis unzulänglich. Die Armut springt uns ins Gesicht.
Die Camps wie an der Perlenschnur. Zelte verstärkt durch Pappe, Lattengerüste, Autoreifen, Schnüre, manche mit Ofenrohr, vereinzelt Satellitenschüsseln. ca. 500 bis 1.000 Einwohner. Stromanschluss ist da, Frischwasserversorgung schwierig, Abwasserentsorgung noch schwieriger. Und überall Kinder, Kinder und nochmals Kinder. Sprudelnd, fröhlich und doch dann beim Besuch in der Schule mit dem Ernst, der sie fast erwachsen sein lässt. Dazwischen viele Jugendliche. Dann die Betagten, zerfurcht , resignativ zum Teil müde. Hoher Schnee und strahlendes Licht lässt alles milder erscheinen als es ist. Die Konfrontation mit den Kindern ist für mich emotional einschneidend. Ihre Begeisterung im Schulzelt, ihre Neugier, ihr Ernst, ihre Fröhlichkeit trotz allem. Große Freude über die bunten Wintersachen, die wir Camp für Camp verteilen (nur sieben Camps werden geschafft, Notizen über die Bedürftigkeit der Familien, der Rest wird von den Mitarbeitern und Lehrern verteilt werden).

Zum Projekt

Im Herbst 2012 beschließen wenige Privatpersonen mit privat aufgebrachtem Kapital aus Deutschland und Libanon eine erste Initiative, um Schulunterricht vor Ort zu organisieren. Auslöser ist die rasch zunehmende Kinderarbeit in den Camps. Man startet mit 20 Kindern in einem ersten Schulzelt direkt im Camp. Unterricht erteilen die ebenfalls flüchtigen Lehrer aus Syrien, sonst ohne jede Perspektive (Gehalt 200 Dollar im Monat). Prinzip ist ein überkonfessioneller Unterricht in gemischten Klassen, möglichst bis zum 10. Schuljahr. Die Initiative wird von allen Beteiligten sehr gut angenommen und vergrößert sich rasch. Inzwischen werden 940 Kinder in ca. 20 Schulzelten (vier durch die Schneelast aktuell zerstört) von 17 Lehrern unterrichtet. Drei Mitarbeiter vor Ort sorgen für die Infrastruktur. In kleinen gemieteten Räumen wird das Schulbedarfsmaterial gelagert. Vier gebrauchte Renault Kangoo sorgen für Transport und Vernetzung. Inzwischen gehen 36 Kinder auf weiterführende Schulen in Beirut! Weitere Lager bitten um Einrichtung ähnlicher Modelle. Das Projekt soll ausgeweitet werden.

Schlussfolgerungen

Einmal gibt es für den Verfasser ganz private Konsequenzen aus dem Erlebten, was nicht so schwer nachvollziehbar ist. Ganz allgemein jedoch: die Lage der Flüchtlingskinder und ihrer Familien muss dringend Schritt für Schritt verbessert werden. Dazu reicht vor Ort zunächst der relativ bescheidene Einsatz von Mitteln mit überwältigender Wirkung. Dies muss Ziel jeder wirksamen Hilfe sein! Die Front zum Extremismus und zur mentalen Zermürbung beginnt im Kopf und in der Seele der Kinder. Wir hier in Europa müssen, wenn schon nicht aus humanitären Überlegungen heraus (was selbstverständlich sein sollte), so doch aus reinem Eigennutz ein hohes Interesse daran haben, diese Generation sozusagen "in die Schule zu retten", ihre Köpfe zu retten - sonst werden dies ganz andere Kräfte tun. Das sind wir den Kindern zumindest schuldig. Meine persönlichen Anstrengungen werden sich darauf richten. Hilfe vor Ort - dort, wo es brennt - muss vorrangiges Ziel der Syrienhilfe sein. Die Wintermützen waren ein Anfang - und für die Kinder vor Ort ein sehr wichtiges Signal! Ich bereue keine Sekunde, dort gewesen zu sein.

Weitere Berichte zum Fortgang des Projekts werden folgen.

Wilhelm Berger